Wo sich Electro und Industrial die Klinke in die Hand geben, musste man in letzter Zeit immer vorsichtiger sein. Denn auf diesem Sektor wird mittlerweile sehr viel lieblos zusammengeschusterter Mist veröffentlicht. Seelenlose Alben á la DEATHSTARS oder die Entgleisungen von THE KOVENANT sind nur zwei Beispiele dafür.
Nicht so HANZEL UND GRETYL, die mit „Über Alles“ ein wahres Hammeralbum veröffentlicht haben. Doch alles der Reihe nach. HANZEL UND GRETYL sind, um das gleich von Anfang an klarzustellen, Amerikaner. Das wissen viele nicht, die aufgrund der vielen deutschen Songtitel und –texte vermuten, es könnte sich hierbei um eine deutsche Combo handeln. HANZEL UND GRETYL a.k.a. Loopy (lead guitars, programming, vocals) und Vas Kallas (vocals, guitars, programming) haben sich seit ihrem Demo „Kindermusik“ (1994) auf maschinelle Musik spezialisiert, soll heißen: mehr elektronische Klänge, weniger humane Instrumentalisten. Es folgten zwei Alben, „Ausgeflippt“ (1995) und „Transmissions from Uranus“ (1997), auf denen eine sehr eigenwillige und erfrischende Mixtur aus EBM, Electro, Breakbeats, Industrial und sphärischen Klängen zu hören war. Seit 1995 haben sie sich auch Live-Musiker an Bord geholt, und sich durch fleißiges Beackern der US-Szene einen feste Fan-Basis aufgebaut. Wie inspirierend ihre Musik für andere Künstler zu diesem Zeitpunkt bereits war, erkennt man z.B. an dem Song „Starfucker“ (1997), welchen sich ein paar Jahre später Trent Reznor von ihnen „ausgeliehen“ hat. HuG steuerten u.a. Songs für Soundtracks bei (Mortal Combat Annihilation) und wurden für zahlreiche Touren von Rev. Marilyn Manson ins Boot geholt. Hier in Deutschland blieben sie allerdings ein relativ unbeschriebenes Blatt. Ein paar Mal war vielleicht von ihnen in Szenemagazinen zu lesen, teilweise waren sie auch mit Tracks vom 1997er Album auf einigen Electro-Samplern vertreten (z. B. Cyberl@b). Das dürfte auch für den Rest Europas gelten. Nach „Transmissions“ wurde es erst einmal ruhig um die Band, was daran lag, das ihr damaliges Label Energy Records pleite ging, und sich HuG fortan in Rechtsstreits mit dem Label üben mussten. Erst mehr als vier Jahre später, im Jahr 2002 konnten sie sich aus dem Vertragsketten loseisen und waren nun frei, um der ollen Hexe erneut in den Arsch zu treten, diesmal unter der Flagge von Metropolis Records, und viel, viel gewaltiger...
Denn „Über Alles“ strotzt nur so vor Energie und Kraft. Oder um es mit den Worten der Band auszudrücken: Es ist „fukken uber“. Das Artwork der CD wirkt schon sehr martialisch und orientiert sich mit seinen rot-weiß-schwarzen Farbtönen stark an der Ästhetik, die man u.a. aus dem Dritten Reich kennt. Befremdlich nimmt man dann auch einen Songtitel wie „Third Reich from the Sun“ zur Kenntnis. Wer die Band nicht kennt, runzelt hier spätestens die Stirn, und Aufklärung tut Not. Zuerst einmal sei gesagt: HuG spielen mit dieser Ästhetik, haben seit ihrer Bandgründung einen „Deutsch-Fetisch“ (viele deutsche Songtitel und deutsche Texte, live sieht man ‚Kaiser von Loopy’ stets mit original Lederhose) und was sie noch haben: viel Humor. Wer glaubt, das hier eventuell versteckte ideologische Botschaften eingeschmuggelt werden, ist HuG geradewegs auf die Schippe gesprungen. Ein Blick ins Booklet zeigt uns 1.: keinerlei anrüchige Symbolspielereien und 2.: sehr, sehr lustige Texte. Loopy und Vas beherrschen das Deutsche zwar um Längen besser als der Durchschnittsamerikaner, aber was sie teilweise in ihren Lyrics zusammenschrauben, lässt einem (auf jeden Fall uns Deutschen) die Freudentränen in die Augen steigen. Kleine Kostprobe gefällig? „Ich bin über alles und du bist der Scheiße“ (Ich Bin Über Alles), „das hier ist verboten, alles hier ist toten“ (Verbotenland), „ich habe keine Lust für deinen scheissen Geist“ (Mein Kommandant). Der Rest der Lyrics bietet auch keine hochphilosophischen Ergüsse, sondern wirkungsvolle Shouts wie „Revolution!“ (Third Reich from the Sun), „Mach Schnell!“ (Mach Schnell) oder das wohl obligatorische „Jawohl!“. Es ist allerdings auch kein oberpeinlicher Schrott, wie er z.B. unlängst von MEZZERSCHMITT zu hören war.
Nun aber endlich zur Musik. Mit Über Alles haben HuG einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht und knallen uns eine gehörige Ladung Industrial Metal vor den Latz, die es in sich hat. Sie selbst bezeichnen ihren Stil als „misplaced Wagnerian space-metal opera lost in time“. Man halte sich noch einmal vor Augen: 6 Jahre lang Funkstille. Mit „Overture“ melden sich HuG opulent zurück, orchestral mit Sirenen und Bombenexplosionen, „Heil“-Rufen aus der Masse. Zwischendurch hört man auch den „Fuhrer“ wettern – nun ja, so was zählt ja mittlerweile auch nicht mehr als provokant, schließlich sind Hitler-Samples vor allem in der Industrial-Szene ziemlich ausgelutscht. Mit Sirenen und Fliegeralarm eingeleitet bricht dann das „Third Reich from the Sun“ (ist das eine Persiflage auf die Sci-Fi-Serie ‚Third Rock from the Sun’??) über uns hernieder. „Reich !! Krieg !! Revolution !!“. Das Riff erinnert stark an Chaos A.D. von Sepultura, was uns aber nicht weiter stören sollen. Mit diesem ersten Track zeigen uns HuG eindrucksvoll, womit in ihrer neuen Ära zu rechnen ist: Industrial-Metal der feinsten Sorte, der sich locker in die Gesellschaft von KMFDM und MINISTRY einreihen kann. (Ich verzichte an dieser Stelle ausdrücklich auf einen Vergleich mit den Musik-Langweilern RAMMSTEIN!). Mit dem nächsten Song „Über Alles“ geht es dann kompromisslos weiter. „Komm zu uns“ ist eine sehr groovige Nummer, genau wie das folgende „Mach Schnell“, welches den ersten Ruhepol des Albums enthält. Bis hierher wurde man mit stampfenden Rhythmen und Riffs durch die Songs gejagt, zu denen sich immer in perfekter Mischung Synth-Klänge und Samples gesellen. „SS Deathstar Supergalactik“ schraubt das Tempo dann wieder höher, und das Discobeat-orientierte Drumming lässt auch diesen Song zu einer – simpel ausgedrückt – schweinegeilen Nummer werden. HuG verstehen es, geradlinige und nicht zu komplexe Songs zu schreiben, die den Hörer sofort mitreißen und sofort im Gehör hängen bleiben. Für die „Intermission“ hätte man sich kein passenderes Stück auswählen können: Man hört in einwandfreiem Deutsch das altbekannte Kinderlied „Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald....“ :). Danach geht es gewohnt heftig weiter. Songs wie „11:11“, „Transplutionen Annihilation“ (indische Sitar-Klänge!), und „Mein Kommandant“ sind nichts anderes als absolute Highlights! Tatsächlich gibt es keine Schwachstellen an diesem Album, an keiner Stelle kommt auch nur ein My an Langeweile auf. HuG hatte ich nach 1997 aus den Augen verloren – was glaubt ihr, was ich für Augen gemacht hab, als ich zum ersten Mal „Über Alles“ gehört habe? SOLCHE GROSSEN AUGEN! Seitdem rotiert die Scheibe regelmäßig im Player, was bei mir ein klares Indiz für ein Top-Album ist. Mit „Aufwiedersehen“ verabschieden sich HuG in sphärischer „Transmissions“-Manier ... „...and the end has come today“. Das Ende für die Welt vielleicht, nicht aber für HuG, denn auf das nächste Album muß man zum Glück nicht lange warten – es steht jetzt (2004) bereits in den Läden. Mehr dazu demnächst auf BloodDawn!
Letzte Worte von mir? Geheimtip! Kauft Euch diese Scheibe! Jetzt! Sofort!
JAWOHL!
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Nach ‚Über Alles’ (2003, Review hier bei Blooddawn) absolvierten HuG die „Fukken Über“ Tour und meldeten sich erfolgreich im Musikgeschäft zurück. Nun legen sie mit „Scheissmessiah“ ihren neuesten Streich vor, und – hört, hört! – WAS für einen Streich!
Scheinbar haben HuG einen ganzen Batzen Synth-Elemente aus dem Boot gekickt, um uns nun als „schwarze Kraft von der Hölle“ (O-Ton) mit einer frischen Industrial/Thrash-Metal Granate Feuer unterm Arsch zu machen. So entspannend, wie ‚Über Alles’ uns im Outro-Track entlassen hat, werden wir mit ebenso elegischen Klängen willkommen geheißen. Doch die Ruhe währt nicht lange, und ein knallhartes Retro-Thrash Riff schiebt uns locker aus der Bahn. „Fikk Dich mit Fire“ (was für ein Titel ) zeigt sofort, das wir es bei HuG anno 2004 mit einer gehörigen Doppelportion Metal zu tun haben. Schon das Cover sieht viel heavier aus...und genau so heavy bläst uns der „Kaiser von Shizer“ um die Ohren. HuGs Vorliebe für groovige Midtempo-Rhythmen zeigt sich auch im nächsten Track „Disko Fire Scheiss Messiah“, der mit (wie der Name schon richtig andeutet!) Disco-Offbeat-Rhythmus, Blast-Attacken und Rammstein-Stakkato-Riffs aufwartet. Die abermals fette Produktion drückt uns tonnenschwer auf die Trommelfelle. Mit leicht reduzierter Geschwindigkeit, aber nicht minder schwerlastig geht es auch in den folgenden Tracks voran. Welcher „Bush“ bei Song No. 6 gemeint ist, dürfte kein allzu großes Rätsel sein – „Burn that mutha mit der hell hell feuer!“. Bei „Sheissway to Hell“ hab ich zuerst an ein flottes Cover des AC/DC Klassikers gedacht, der Song entpuppt sich jedoch als harmlos ruhig beginnendes und dann furios stampfendes Thrash-Biest. Weil aber trotzdem zuviel Ruhe nicht gut für die Ohren ist, haut man uns mit „And We Shall Purify“ einen weiteren Brecher ins Kreuz. Sängerin Vas quält ihre Stimme aufs Beste, und respektvoll fallen wir vor ihr in den Schmutz. In „10th Circle“ singt sie sogar griechisch (leider beherrsche ich das nicht, sonst könnte ich jetzt sagen, worum es sich handelt – das wird aber noch im Interview geklärt! Was ich aber schon jetzt mit Sicherheit sagen kann: HuG haben ihren Humor, den man von den bisherigen Alben kennt, beibehalten, und beehren uns erneut mit einer absolut köstlichen Mixtur aus dt./engl. Lyrics »» siehe Songtitel). Mit „Hellalujah“ haben wir die passende Metal-Hymne für den ‚Scheissmessiah’, untermalt von Streichern und fröhlich jauchzenden Chorälen. Hallelujah, äh, ich meine natürlich Hellalujah! „Purify“ ist der perfekte Abschluß des Albums, ein episches Stück, das uns Lead Gitarrist Kaiser von Loopy mal etwas virtuoser zeigt.
Fazit: Mit „Scheissmessiah“ haben HuG ihr bisher metal-lastigstes Album produziert (back to the real roots), was im Vergleich zum Vorgänger Synth-Effekte und Samples nur noch als Untermalung benutzt. Leider ist die Spielzeit mit knapp 40 Minuten etwas kurz für ein Album geraten. Ein, zwei schnelle Songs mehr im Stil von „Disko Fire...“, das Potential von den langsameren Songs noch ein bisschen mehr ausgereizt und dieses Album hätte seine 5 Punkte locker verdient. Somit entscheide ich mich aber nach reiflicher Überlegung für eine fette 4.
PS: Auch dieses Album ist bisher nur als US-Import erhältlich, aber auch hier gilt: Zugreifen!
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Reinhören, Informieren:
http://www.myspace.com/hanzelundgretyl