Für eine Gesamtbewertung des Trips müsste man diverse Splits vornehmen, denn zwischen „grandios“ und „katastrophal“ gab es kaum etwas.
Alleine die Verkehrsführung ist komplett hirnrissig, nichts funktioniert, nichts hat in irgendeiner Form Verstand. Züge fahren kaum, Verbindungen zwischen Städten kaum vorhanden, vollkommen überlastet mit den Reisenden. Nachts fährt gar nichts, Busse kommen wann sie wollen, Straßen sind gesperrt oder marode.
Gut, ist jetzt nichts Neues für Italienkenner, aber so schlimm wie in der Emiglia Romana ist es sonst kaum irgendwo.
Und man sollte sich vorab vielleicht besser darüber informieren, wo man während seiner Zeit nächtigen möchte… Ich dachte bisher immer, es sei in Italien überall schön, aber das stimmt leider ganz und gar nicht.
Zum Beispiel war unser gewählter Startort Parma ein unfassbar widerwärtiger Moloch von einer Großstadt, die solchen Gossen wie Frankfurt am Main oder Hamburg in nichts nachsteht. Für italienische Verhältnisse ungewöhnlich hässlich, gefährlich, dreckig, assig. Das hätte ich eher von Neapel erwartet, aber nicht von Parma! Klar gibt es die eine oder andere nette Ecke, die findet man immer irgendwo, aber der Gesamteindruck ist einfach nur… *würg*.
Auf der Suche nach einem netten Lokal fürs Abendessen wurden wir vor die Wahl gestellt zwischen Kebap, Döner und halal, vernünftiges Essen haben wir sonst nicht entdeckt. Supi, mitten in der Hauptstadt von Parmesan und Parmaschinken findet man nur Parallelgesellschaftsfressbuden wie am Bahnhof Zoo, und die ein, zwei Restaurants die die Ausnahmen bilden lagen so schön in den Nebenstraßen, dass sie umringt waren von Rudeln vertrauenswürdiger Neuitaliener, die offensichtlich keine europäischen Touristen in ihrem Viertel wollen.
Eigentlich war die Bahn unsere erste Option, aber wir sind dann doch lieber mit Autos im Konvoi zur Arena gefahren, da alle Öffis komplett für die Tonne waren. Tausende Ein-Stern-Rezensionen zu dem Thema sprechen dazu Bände. Und ich dachte dass die Leute nur etwas übertreiben oder nicht Festival-erprobt sind. Pustekuchen – die RCF-Arena bietet tatsächlich (außerhalb der Qualität der Location selbst) das übelste organisatorische Vollversagen das man sich vorstellen kann. Verdammt, ich kann doch kein Konzertgelände für 100.000 Menschen basteln und dann nicht mal eine vernünftige Straße vorweisen, geschweige denn keine Busse oder Bahn! Die Parkplätze waren verdammte Kartoffeläcker im Nirgendwo, mit solchen Löchern dass an einem unserer Autos sogar ein Federbruch aufgetreten ist.
Alleine das Chaos bei der Abfahrt vom „Parkplatz“ nach dem Konzert spottet jeder Beschreibung – sowas Beklopptes habe ich in Deutschland noch niemals gesehen!
Dazu kann man kaum etwas schreiben, das muss man erlebt haben!
Auf dem Konzertgelände waren gefühlt 5.000 Ordner unterwegs, kontrolliert hat aber keine Sau! Wir haben Leute gesehen die Bierkästen oder Partyfässer dabei hatten, ich selbst hab meine große Spiegelreflex samt Objektiven problemlos rein getragen (nicht versteckt, offen um den Hals!). Ausweise wurden nicht kontrolliert, die Armbänder waren ein Witz – in der Feuerzone hat sich alles getummelt was Lust hatte, die Bereiche waren de facto nicht voneinander abgegrenzt! Um uns herum überall gelbe und orange Armbänder die sich schön vorgedrängelt haben – wofür bezahlt man dann eigentlich den teureren Preis für die Feuerzone?
Bei 40 Grad im Schatten (den es aber vor Ort kaum gab) haben sich dafür nur gefühlt sechs Hanseln um die Ausgabe der Getränke (vollkommen überteuert) gekümmert. Es kann und darf einfach nicht sein, dass ich bei solchen Temperaturen in der prallen Sonne eine geschlagene Stunde anstehen muss um Wasser zu kriegen, obwohl höchstens vierzig Leute vor mir stehen! Dann bekommt man warmes Plastikflaschenwasser ohne Deckel ausgegeben, das bereits beim Übergeben verschüttet wird und nicht mal gekühlt ist. Nochmal, vierzig Grad, kein Schatten! Das grenzte an Fahrlässigkeit! Zwei hirnlose, geschwätzige Zeitlupestudenten an der Ausgabe und ein afrikanischer Flüchtling der hinten im Akkord Bier in Becher abfüllt für erwartete 100.000 Besucher, das ist mal GANZ GANZ SCHWACH!
Aaaaaaber jetzt kommt natürlich das Wichtigste - das Konzert selbst – und das war mit Abstand das Beste was ich bisher erleben durfte! Der grandiose Sound, die tolle Show, die Rammis in Höchstform. So krass abgefeiert wie hier haben wir bisher noch nie, und wir waren dann doch schon auf so einigen Konzerten in diversen Ländern. Die Stimmung unter den Fans war klasse, und die Arena hat ihre Muskeln spielen lassen. Mit der Dämmerung wurde auch das Gelände immer beeindruckender, gestört haben nur die Leute die vor Ende der Show schon durchgedrängelt haben um ihre Öffis zu bekommen (was aber meines Wissens nach umsonst war).
Bei Lindemann waren wir nicht sicher ob er Texte vergessen hat oder absichtlich schwieg, aber die eine oder andere längere Passage war schon auffällig (insbesondere bei „Deutschland“). Kurzzeitig dachten wir sogar die Hitze hätte ihm zugesetzt und er würde gleich umkippen, hat sich aber wieder gefangen.
Schneider hat es mal richtig krachen lassen und hat sich selbst mehr von der Leine gelassen, da war in einigen Passagen deutlich mehr Schlagzeug zu vernehmen als sonst.
Tatsächlich gab es also enorm viel Schatten über Reggio Emiglia (leider nur im übertragenen Sinn), trotzdem fühlte sich der Trip dank des tollen Konzerts nicht nach einem Fehler an. Die Stimmung unter den Fans, insbesondere unserer Reisegruppe, war enorm positiv und wir haben dann über all die Ärgernisse einfach geschmunzelt und ein Bier getrunken. Zum Schluss haben wir das Auto noch mit Parmesan und Schinken zugekleistert und sind dann bei praller Sonne von Stau zu Stau heim geschlichen (auch hier wieder tolle italienische Infrastruktur…).
Ob ich noch einmal dorthin fahren würde für ein Konzert würde ich abhängig machen von der Jahreszeit, im Hochsommer ist die Arena ein Vorhof zur Hölle und beinahe lebensgefährlich. Die Rammsteiner sollten sich bei der Planung zukünftiger Konzerte vielleicht auch ein wenig nach dem geografischen Gefälle richten und südländische Bereiche eher im Frühjahr oder Herbst bespielen und sich im Hochsommer eher nördlich halten, Ende Juli in Mittelitalien ist halt einfach extrem krass. Aber mit 15 Grad weniger im Genick und einem hübscheren Startort (Parma sucks!) wäre ich wahrscheinlich wieder unterwegs in mein Lieblingsland. Denn ich liebe Rammstein, und ich liebe Italien. Und beides zugleich zu bekommen ist dann doch ein einmaliges Erlebnis.
Und all das Schlechte verblasst schon jetzt während die Euphorie weiter anhält.