Beiträge von Karen
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Nachdem ich ueber die anderen beiden Balladen des Albums gemeckert habe, weil sie im Vergleich zu frueheren Sachen musikalisch einfach schwach sind, muss ich diese mal ausdruecklich loben. Ein wundervolles Stueck. Erstaunlich finde ich, dass Leute hier Parallelen zu Reise Reise rausgehoert haben. Obwohl das eins meiner Lieblingsstuecke ist und ich es nun extra nochmal verglichen habe, kann ich es immer noch nicht ganz nachvollziehen. (Allerdings bin ich im Erkennen von musikalischen Zitaten zugegebenermassen eine Niete, was mich aergert, da ich im Hinterkopf immer irgendwie das Gefuehl habe, dass gerade das neue Album viele Bezuege auf aeltere Sachen hat, die ich nicht so richtig zu greifen kriege.) Jedenfalls ist es passend und bestaetigt die Theorie von der Umweltkatastophe, weil es damit auch inhaltlich zu Reise Reise passen wuerde.
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Bisher mein absoluter Favorit auf dem neuen Album. Was auf den ersten Blick martialisch und mordluestern daher kommt, entpuppt sich auf den zweiten Blick als recht amuesante und schwungvolle Beschreibung des maennlichen Sexualverhaltens. Dieses hat zweifellos auch gelegentlich gewalttaetige Zuege, aber gleich wieder Vergewaltigung oder gar Kindesmissbrauch hineinzuinterpretieren halte ich doch fuer nicht haltbar.
Was hier schiesst, ist wohl eher kein Gewehr und es wurde ja bereits angemerkt, dass Wild und Kreatur nicht notwendigerweise die selben sind.
Macht einfach nur Spass. -
Auch wenn ich noch keine komplette Interpretation von 'Ich tu dir weh' anbieten kann,
moechte ich mal der gern verbreiteten These entgegentreten, dass es sich hier um die
Darstellung von SM-Praktiken handelt. So etwas kann nur behaupten, wer von der SM-Szene
wenig bis keine Ahnung hat. Auch halte ich die Indizierung dieses Songs mit der
Begruendung der Gewaltverherrlichung fuer Unsinn, auch wenn der Text sehr gewalttaetig
und irritierend ist.
Zum einen handelt es sich hier ziemlich eindeutig um Gewalt gegen die eigene Person
bzw. den eigenen Koerper. Das zeigt nicht nur der Blick in den Spiegel, sondern auch
das erste Bild der dritten Strophe: Du bist das Schiff ich der Kapitän
Das vermutlich haeufigste Rammstein-Motiv, das man auch in Seemann, Nebel, Reise Reise
oder im Mutter-Video wieder findet. (Meer - Schicksal, Ufer des Meeres - Ende des Lebens,
Boot im Schilf - Irrweg...) Hier ist das Schiff das Mittel, mit dem man das Meer
(Schicksal) durchfaehrt, also die Person selbst bzw. der Koerper, und der Kapitaen der
Verstand, der die Fahrt steuert.Auch die Art der Gewalt deutet auf Selbstverstuemmerlungen hin, wenn auch in
unterschiedlich krasser Form. Da haben wir Andeutungen von Piercen (Ich steck' dir Orden
ins Gesicht), Ritzen (Du blutest für mein Seelenheil - Ein kleiner Schnitt und du wirst
geil), diversen fragwuerdigen Schoenheitsidealen (Der Körper schon total entstellt
Egal - erlaubt ist was gefällt) bis hin zu versuchtem Selbstmord (Erst stirbst du
doch dann lebst du weiter).Die zweite Strophe hat einige schwierige Bilder, besonders die sexuelle Anspielung im
Zusammenhang mit den Nagetieren. Andererseits handelt es sich hier nicht um typische
SM-Praktiken. 'Stacheldraht im Harnkanal' ist eine ausgesprochen unangenehme Vorstellung,
in der Realitaet aber im Grunde unmoeglich, dort Stacheldraht hineinzubekommen, es kann
also allenfalls bildlich sein.
Meine Assoziation mit den Nagetiere geht eher in Richtung nagender Hunger (->Magersucht,
passt zur Thematik der Selbstverstuemmelung) oder nagende Zweifel, oder allgemein etwas,
das an der koerperlichen Substanz (also der Gesundheit) nagt.Auch der Refrain ergibt so durchaus Sinn. Er drueckt die Distanzierung vom eigenen
Koerper aus, die (im Grunde fuer Aussenstehende nicht nachvollziehbare) Vorstellung
von Magersuechtigen oder auch von Leuten, die sich die Arme aufschlitzen, dass sie sich
selbst irgendwie etwas Gutes tun, oder dass es sie befriedigt.
Ich halte das Lied absolut nicht fuer gewaltverherrlichend. Zwar ist es absichtlich
provokativ und irritierend, man kann es jedoch als Anstoss ansehen, sich mit diesen
gesellschaftlichen Phaenomenen staerker auseinanderzusetzen. Hier handelt es sich um
Formen brutaler Gewalt, die, waere sie gegen andere und nicht gegen die eigene Person
gerichtet, einen Aufschrei der Empoerung verursachen wuerde (was die Reaktion unter
anderem des Familienministeriums ja auch eindrucksvoll belegt).Im Grunde ist es mal wieder ein genialer Song. Dass ich ihn trotzdem nicht besonders
mag, liegt einfach daran, dass das negative Thema mir schlechte Laune macht.
Ausserdem befuerchte ich, dass mal wieder die wenigsten Menschen sich ernsthaft genug
damit auseinandersetzen, um etwas von der Intention zu verstehen.Nun kann man sagen, ok, klingt irgendwie ganz logisch, aber ich glaube trotzdem, dass
es um SM geht. Deshalb will ich hier nochmal kurz abschweifen, um den Unterschied deutlich
zu machen. Wenn man etwas ueber SM wissen will, sollte man sich Bestrafe mich anhoeren.
Im Grunde reicht bereits eine Zeile aus, um den Unterschied zu erkennen:
du darfst mein Bestrafer sein
Das sagt alles. Du darfst mein Bestrafer sein, weil ich es dir gestatte. Dort geht es
um Sex, um Lust, um Konsens, um Absprachen und Grenzen, nicht darum, den anderen zu
verletzen. Eine der genialsten Textstellen ueberhaupt, die das ganze Konzept in zwei
Zeilen zusammenfasst: Stroh wird Gold und Gold wird Stein
Fuer die, denen es nichts sagt: Mal bei Grimms Maerchen nachforschen.Karen
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Roter Sand krankt leider genau wie Fruehling in Paris daran, dass der Gesang gegenüber den Instrumenten viel zu stark in den Vordergrund tritt. Das kann man machen, wenn man einen guten Saenger hat, aber hier wirkt es leider zu haeufig angestrengt und erzwungen. Nichts gegen Till, aber er ist nun mal ein besserer Texter als Saenger und sollte sich in Tonlage und Anspruch an den Gesang besser auf das beschraenken, was er kann. Beide Songs wirken so etwas duenn und kraftlos.
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Mein erster Eindruck bisher: Leider eher schwach. Waidmanns Heil ist noch das einzige Stueck, das mich auf Anhieb ueberzeugt hat. Von den Texten her weniger ueberzeugend als die letzten beiden Alben, musikalisch eingaengige Stuecke werden durch zu viele schraege Toene gestoert, und insgesamt gibt es zu viele Gesangseinlagen, die Tills Stimme leider haeufig ueberfordern. Wenn es schon auf dem Album so klingt, moechte ich es doch lieber nicht life hoeren... Sein Englisch klingt immer noch bescheiden, auch wenns zu Pussy insgesamt passt, aber franzoesisch geht leider gar nicht.
Immerhin, das eine oder andere Stueck hat Potenzial, also werde ich ihnen noch eine Chance geben. Aber fuer die Anhaenger der letzten zwei bis drei Alben ist dieses leider ein krasser Rueckschritt. -
Ich finde die Gesamtinterpretation abgesehen von einigen noch unklaren Details jetzt nicht soo schwierig, und einige Ansaetze dafuer wurden ja im Verlauf der Diskussion auch schon genannt.
Das Thema Zerstörungswut ist ja bereits aus dem Titel heraus offensichtlich. Im Verlauf der einzelnen Strophen eskaliert sie allmählich. Es beginnt zunaechst noch als relativ harmloser Vandalismus und Gewalt gegen Sachen. Ich geh am Gartenzaun entlang (-> durch meine Nachbarschaft) und zertrete vielleicht ein paar Blumen, reisse Muelleimer ab, beschmiere Wände oder gehe im allgemeinen wenig pfleglich mit dem Besitz anderer Leute um. Was mir nicht gehört, das mache ich kaputt, weil mir einfach grad danach ist.
In der zweiten Strophe steigert es sich zur Gewalt gegen Personen. Dort wird geschlagen und verletzt. Hier wird viel mit zusaetzlichen Geraeuschen gearbeitet. Am Anfang der ersten und zweiten Strophe (z.B. 1:45) taucht z.B. etwas auf, das wie 'bababa' klingt und mich an die Stimmen der Marsianer aus Mars Attacks erinnert (wers nicht kennt: ein etwas schraeger Film ueber die Invasion einer Horde Aliens vom Mars, die versuchen, die Menschheit auszurotten). In der zweiten Strophe kommen dazu menschliche Stoehngeraeusche (bei Zersägen, Zerlegen), goal- oder Tor-Rufe (bei Verletzen, Zerfetzen) und am Ende der Strophe Polizei- oder Krankenwagensirenen. Sie unterstreichen das Hooligan-Motiv und die Gewalt gegen Personen, die hier thematisiert werden.Die naechsten beiden Strophen zeigen erst die Selbstwahrnehmung der handelnden Person (Ich bin eigentlich doch ganz nett, ich will ein guter Junge sein, und ich kann ja auch gar nichts dafuer, das kommt einfach so ueber mich... in einem scheinbar voellig rationalen Tonfall gesungen) um dann in Strophe 4 voellig aus dem Ruder zu laufen in sinnlose, voellige, blinde(!) Zerstoerungswut. Die hier im Forum mehrfach kritisierte sinnlose Anneinanderreihung von zer-Worten veranschaulicht ja eben genau dies: hier wird einfach nur noch ohne Verstand draufgehauen.
Passend zu den verschiedenen Entwicklungsstufen aendert sich der Ausdruck
in der Passage 'Ja, Ja, Ja...'. Am Anfang ist es eher so ein 'hehe - *haendereib* - ich stell jetzt mal was ganz cooles an...', dann wird es triumphierend, schliesslich endet es am Ende der 4. Strophe nur noch als Aneinanderreihung primitiver Laute. Dagegen gesetzt ist das wiederkehrende Nein!, das wie die Stimme des Gewissens einen Hinweis darauf gibt, dass das alles eigentlich so gar nicht richtig ist.
Die letzte Strophe ist dann so etwas wie die berühmte Moral von der Geschichte. Er will, dass ihn alle gut finden, aber als das blinde Maedchen sehen lernt, erkennt sie die Wahrheit ueber ihn (naemlich dass er eben kein guter Junge ist, sondern ein ruecksichtsloser und brutaler Gewalttaeter) und wendet sich von ihm ab.So weit, so klar. Aber:
Wo ist da nun der politische Bezug zu Bush? Im Song selbst geht es nicht direkt um den Irakkrieg oder Bush, aber man kann natuerlich Parallelen zu seiner Irakpolitik ziehen, wenn man das will, und die Interviews legen ja nahe, dass das zumindest nicht unbeabsichtigt ist.
Eindeutige Hinweise gibt es nicht (wie auch bei Reise Reise), aber ein paar
Dinge koennten hier die Richtung weisen:
- Mars Attacks: eine Invasion fanatischer und gewalttaetiger Angreifer.
- Der Ausdruck 'ein guter Junge' - beliebtes Selbstverstaendnis der
amerikanischen Truppen 'We are the good boys'
- goal statt Tor (zumindest hoere ich das heraus, weiss nicht, obs stimmt)
deutet einerseits auf englischen Fussball (->Hooligans), andererseits
auf den englischen Sprachraum insgesamt
- Der Arbeitstitel Ankara und das tuerkische Volkslied am Anfang deuten
nicht direkt in den Irak, aber wenn ich mich recht erinnere, galt die Tuerkei
urspruenglich als Aufmarschgebiet der amerikanischen Truppen, die dann
allerdings doch von Sueden aus angegriffen haben.
Den genauen Inhalt des Liedes hat uns ja leider noch niemand verraten
koennen, moeglicherweise ergeben sich daraus weitere Anhaltspunkte auf
KriegNochmal zum Abspann: Es klingt wie ein Schlaflied fuer Kinder auf einer alten, zerkratzten Schallplatte, das einen friedlichen, ruhigen, aber auch traurig-melancholischen Kontrast zum restlichen Lied bildet. Die Melodie zwischen den Strophen wird hier als eine Art Spieluhrmusik wieder aufgenommen.
Aber wozu das Schallplattengeknister? Die einzige, allerdings vielleicht etwas weit hergeholte Idee, die ich noch hatte, ist folgende:
Die auffaellig betonten letzten vier Toene entsprechen (mit etwas anderen Tonlaengen) der Melodie von 'Schlaf Kindlein Schlaf'. Von dem Lied gibt es auch noch eine andere Version, naemlich Maikäfer flieg, was wiederum ein Kriegslied ist (siehe Wikipedia) und damit vielleicht einen Bogen zum Intro spannt. Vielleicht dienen Schallplatte und Spieluhr also als zusaetzlicher
Hinweis auf die Zeit des letzten Weltkrieges?Karen
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Zitat
Original von Wackelpudding
es kommt schlichtweg zur vergewaltigung, der tonfall verrät einigesAlso in diese eine Zeile mit dem Festhalten gleich eine (vollzogene) Vergewaltigung hineinzuinterpretieren halte ich auch fuer etwas gewagt. Sicher ist es eine Andeutung einer Gewaltanwendung, aber gleichzeitig klingt 'mit nassen Haenden' und 'glatt wie ein Fisch' nicht gerade so, als haette er damit grossen Erfolg, vermutlich entschluepft sie ihm also. Und der Tonfall verraet nur, dass er ziemlich geil auf sie ist. Zum Glueck werden nicht alle Maenner gleich zum Vergewaltiger, wenn sie der Anblick einer schoenen Frau erregt
Mir scheint, hier ist die Sichtweise einiger Zuhoerer doch sehr von ihrer Erwartungshaltung in Sachen Rammstein-Texte gepraegt.Karen
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Zitat
Original von Borammstein
Bedeutet: Mein Sohn/tochter weine nicht!
Means: My son/doughter dont cry! ("yavrim" is normally "yavrum"__ means "my child", and is used 4 showing that u love ur child very much!)Hm, Borammstein scheint leider nicht mehr aktiv zu sein. Spricht hier zufaellig sonst noch jemand tuerkisch und kennt das Lied? Es wuerde mich interessieren, worum es da genau geht. Wuerde mich nicht wundern, wenn die Mutter das Kind troestet, weil der Vater in den Krieg gezogen ist... Waer aber nett, es genau zu wissen.
Karen
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Zitat
Original von Sirius
...
FAZIT:
Das Lied handelt eigentlich nur von der Beziehung zwischen Mann und Frau, die NIEMALS auf Gleichheit beruht.
Die Frau ist nur ein Lustobjekt und soll als solches behandelt werden, schließlich verbündet sie sich in ihrer unendlidchen Arroganz und körperlichen Makellosigkeit nur mit anderen geilen Männern um sich dem trieb hinzugeben.
Der mann, der ihre wahre Schönheit zu erkennen glaubt, ihr all seine Liebe und Zuversicht, Hoffnung und zuneigung schenkt und sich dabei alleine für sie aufgibt, wird niemals - NIEMALS - eine Frau an seiner Seite finden, da die Frau eine innere Schönheit nicht besitzt.
...
Bis zum Fazit hats mir gefallen ...
Ich denke aber, deine Schlussfolgerung ist ein wenig von eigenen schlechten Erfahrungen gepraegt. Zurueckgewiesen zu werden ist kein ausschliesslich maennliches Problem. Der Song wuerde anders herum ebenso funktionieren. Ob man deswegen also nun gleich alle Frauen verteufeln und schliessen muss, dass Beziehungen grundsaetzlich nicht funktionieren koennen, moechte ich doch anzweifeln. -
Ich wuerde gern meine Anwort an verschiedene Leute zusammenfassen, und da ich nicht weiss, wie ich das dann richtig zitieren muss, mache ich es mal so:
Shane:
War für längere Zeit mein lieblingslied.. aber das video, wie oben schön erwähnt, ist sowas fürn arsch
Dr. Kongo:
Ich mag Seemann sehr gern...das Video ist zwar grotte find ich ....
SpookyUki:
Auch wenn die Info nicht neu ist, dieses Lied handelt um den Alltag einer Hure auf dem Strich.Dazu kann ich nur sagen: Nein, Nein und NEIN!
Ok, jeder kann natuerlich davon halten, was er/sie will ... Aber meiner Ansicht nach ist Seemann nicht nur einer der wenigen wirklich guten Songs auf Herzeleid (neben Du riechst so gut). Auch das Video ist absolut genial, ein echtes Kunstwerk. Und das Lied handelt _nicht_ vom Alltag einer Hure auf dem Strich. Das ist lediglich ein Randaspekt.Seemann ist das erste Lied, in dem die Metaphern Meer / Schiff / Seemann verwendet werden, um das Leben an sich zu beschreiben. Dabei steht das Meer als Sinnbild fuer die Welt, das Schicksal, das Dasein... Das Schiff oder Boot, das man steuert, ist das eigene Leben, der Seemann das Ich, die eigene Person.
Dieses Bild tritt immer wieder auf, z.B. in Reise Reise, oder im Video von Mutter, wo sich das Boot am Ende im Schilf verirrt, um die Irrwege des Clonens zu verdeutlichen. Oder in Nebel und Alter Mann, wo das Ufer des Meeres jeweils fuer das Ende des Lebens steht.Der Text beschreibt die Sehnsucht des Menschen (Seemanns) nach Naehe und Geborgenheit in der modernen Gesellschaft, die von Gefuehlskaelte, Oberflaechlichkeit und Ziellosigkeit gepraegt ist.
'Wo willst du hin - So ganz allein - Treibst du davon' -> Dein Leben hat kein Ziel und keinen Sinn
'Wer hält deine Hand - Wenn es dich - Nach unten zieht' -> Wer ist fuer dich da, wenn du abzustuerzen drohst?
Der verzweifelte Versuch, einen Menschen zu finden, mit dem man das Schicksal teilen und meistern kann (Komm in mein Boot -> Teil dein Leben mit mir), scheitert am Ende, und es bleibt nur Kaelte und Einsamkeit.Ich will jetzt nicht auf jede Zeile eingehen, ich denke, wenn man den Text mit diesem Hintergrund hoert, werden die einzelnen Bilder von allein klar. Ich moechte aber noch ein paar Bemerkungen ueber das Video loswerden, das die Interpretation nicht nur stuetzt, sondern um viele zusaetzliche Aspekte
bereichert.Die Frau(en)
Die Frau wird entweder allein gezeigt, oder geht am Boot vorbei, ohne den Seemann zu beachten. Es gibt keinen wirklichen Kontakt zwischen ihnen. Ob sie eine Prostituierte ist, ist nicht eindeutig, aber nicht nur die Kleidung legt das nahe, vor allem aber die Bezugnahme auf den Film 'Wir Kinder vom Bahnhof Zoo' (siehe z.B. 0:45, diese Kachelwand erinnert doch sehr an Berliner Ubahn-Stationen). Spaeter wird auch das Thema Drogenkonsum noch angesprochen (Das Feuer nimmst du von der Kerze -> Heroin wird auf einem Loeffel ueber einer Kerzenflamme verfluessigt)
An dieser Stelle tauchen im Video entsprechende Bilder auf (Pferdeschaedel, brennender Arm, die Frau inmitten der brennenden Kerzen, die veraenderten Pupillen -> Tod durch Heroinmissbrauch) Diese Anspielungen sind wohl die Ursache fuer die verbreitete Meinung, dass es in dem Lied um eine Hure geht. Sich zu prostituieren, um an Geld fuer Heroin zu kommen, wie es Christiane F in 'Wir Kinder vom Bahnhof Zoo' getan hat, ist aber nicht das Hauptthema.Als zweite Frau taucht in dem Video noch Marlene Dietrich auf (denke ich, weiss jemand vielleicht, aus welchem Film dieses Bild mit dem auffaelligen Kopfschmuck bei 3:05 stammt?). Sie stuetzt die Assoziation der Zeile 'Jetzt stehst du da an der Laterne' mit dem Song Lili Marleen, da sie die bekannteste Interpretin dieses Liedes ist. Dort geht es nicht um Prostitution, aber um Trennung, Verlassen werden, Warten auf die Liebste...
Das Schiff
Der Seemann hat offenbar die Absicht, der Frau Hilfe anzubieten (Ich schuetze dich vor dem aufziehenden Sturm, ich reiche dir die Hand, damit du nicht abstuerzt). Die Bildsprache des Videos verdeutlicht aber sehr gut die eigene Hilflosigkeit. Das Boot steckt in einem Meer aus Sand fest, die Seeleute bemuehen sich vergeblich, es vorwaerts zu bewegen. Da ist die Galionsfigur, die eigentlich das Schiff schuetzen soll, aber selbst gefesselt ist. Da ist die Pestmaske, wiederum auf ein anderes Lied verweist: Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord -> Ein altes Seemannslied, das die meisten Leute kennen werden, ueber eine Mannschaft, die hilflos in einer
Flaute steckt und nach und nach an faulem Wasser und Krankheiten stirbt.Sonstiges:
Die Industriekulisse und die expressionistische Bildsprache -> Die Verlorenheit des Menschen in der modernen Großstadtwelt ist ein wichtiges Thema des Expressionismus.
Frisuren: Erinnern mich an die Straßenkinder-PunkfrisurenUnd zum Schluss noch eine Bemerkung zum Gesang:
Dieser Song kann nicht anders als in einer hohen Tonlage gesungen werden. Die Stimmlage drueckt Verzweiflung und Sehnsucht aus und erinnert an die Sirenen der griechischen Sage. Tief gesungen haette es den gegenteiligen Effekt und wuerde die Aussage des Songs ruinieren.Vermutlich gibt es noch etliche Sachen mehr zu sagen, die mir entgangen sind. Und natuerlich kann man das Video trotzdem bloed finden Ist halt wie mit jeder Art von Kunst. Man mag es, oder man mag es nicht.
Karen
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Ich habe eigentlich ein etwas zwiespaeltiges Gefuehl dabei, umfassende Interpretationen zu veroeffentlichen, weil es vielleicht andere Leute daran hindert, sich eigene Gedanken zu machen und zu eigenen Schluessen zu kommen. Aber die Diskussion hier ist an einer Stelle stehen geblieben, die ich so einfach nicht stehen lassen kann, weil ich denke, dass es dem wirklich genialen Song nicht gerecht wird, ihn 'nur' als Neufassung des Erlkoenigs abzuhaken. Und Ramjets Ansatz ueberzeugt mich nicht. Wer sich eigene Gedanken machen / bewahren will, sei hiermit gewarnt, nicht weiter zu lesen
Ich habe ziemlich lange mit dem Song gerungen, ohne zu einem befriedigenden Ergebnis zu kommen, bis ich mich mal hingesetzt und ganz von vorn angefangen habe. Sprich beim guten alten Goethe. Leider habe ich es nicht geschafft, das Ergebnis kuerzer zu fassen, ohne dass dabei wichtige Aspekte verloren gehen.
Zunaechst mal: Den Text des Erlkoenigs kann man z.B. bei Wikipedia finden. Eine recht gaengige Interpretation ist beispielsweise: http://www.rither.de/a/deutsch/goethe/der-erlkoenig/
Hier die Kurzfassung: Ein Vater reitet mit seinem Sohn durch die Nacht. Das Kind wird von Fiebertraeumen geplagt, fuehlt sich vom Erlkoenig bedroht, und stirbt am Ende. Dabei steht der Ritt fuer die 'Lebensreise' des Kindes von der noch friedlichen Kleinkindphase bis zum Erwachsenwerden. Der Erlkoenig symbolisiert verschiedene Bedrohungen und Verfuehrungen, denen das Kind ausgesetzt ist. Der Vater streitet die Existenz des Erlkoenigs ab und versucht das Kind durch rationale Erklaerungen zu beruhigen, scheitert jedoch letztendlich damit.
Aussage: Ein Kind braucht nicht nur materielle Versorgung und rationale Erklaerung, sondern vor allem auch Liebe, Geborgenheit und Schutz. Es muss mit seinen Aengsten ernst genommen werden und braucht Unterstuetzung der Eltern gegen die Verfuehrungen von aussen.Auch wenn es bei Dalai Lama genug Parallelen gibt, um das Motiv wiederzuerkennen, ist bei etwas genauerer Betrachtung schnell klar, dass es sich hier nicht einfach nur um eine moderne Neufassung handeln kann. Das beginnt schon bei der Form: Anzahl der Strophen, Anzahl der Zeilen pro Strophe und Reimschema stimmen nicht ueberein. Wenn ich meiner ehemaligen Deutschlehrerin glauben darf, sind solche Dinge sind aber bei einem Gedicht meistens wichtig.
(Ich bin keine Germanistin und hab davon wenig Ahunung, deshalb will ich auch nicht weiter auf die formalen Sachen eingehen, aber vielleicht faellt ja noch irgendwem was Kluges dazu ein
Aehnlich ist es mit der Musik. Bei den musikalischen Stilmitteln muss ich mich auf mein Gefuehl verlassen.Ich habe mal versucht, die wichtigsten Aenderungen zu Goethe herauszuarbeiten:
1. Der Titel: Die vielleicht auffaelligste und zunaechst auch unverstaendlichste Aenderung. Sie hat mich erstmal auf eine ziemlich falsche Faehrte gelockt. Zum Dalai Lama gibt es verschiedene Ideen (groesstenteils von anderen Leuten, nicht alle auf meinem Mist gewachsen), die ich hier mal auflisten moechte:
a) Er ist bekannt dafuer, unter Flugangst zu leiden
b) Er stellt einen Bezug zum Buddhistischen Glauben her. Dazu faellt einem zunaechst mal die Wiedergeburt ein. Ich fand ausserdem diese Erklaerung in einem anderen Forum:
'Dalai Lamas: Wesen, die sich aus Mitgefuehl entschlossen haben, durch Reinkarnation wieder in das Leben oder 'in die normale Existenz' einzutreten, um anderen Wesen zu dienen, obwohl sie als Erleuchtete Wesen (Buddha-Natur) den Kreislauf der Wiedergeburt haetten verlassen koennen.
c) Er ist zumindest in der westlichen Welt sehr angesehen und damit, im Gegensatz zum Erlkoenig, eine positiv besetzte Figur. In manchen Goethe-Interpretationen wird der Erlkoenig auch mit dem Tod gleichgesetzt. Der Dalai Lama ist also quasi die Gegenthese: Jemand, der das Leben bejaht.2. Der Arbeitstitel: Flugangst
Scheint offensichtlich, da es vordergruendig ja um einen Flugzeugabsturz geht. Dennoch zwei Anmerkungen dazu:
a) Flugangst ist eine eher irrationale Angst, da objektiv gesehen das Fliegen zu den sichersten Fortbewegungsmitteln zaehlt.
b) Flugangst = Angst vorm Fliegen
Fliegen ist oft ein Synonym fuer Freiheit und Selbstbestimmung3. Inhaltliche Aenderungen
Die erste Strophe uebertraegt lediglich die Handlung des Erlkoenigs in das moderne Bild. Am Anfang ist noch alles gut, Vater und Sohn sitzen friedlich im Flieger. Die Musik plaenkelt so daher, der Gesang ist eher gemuetlich und nett. Wiegenfest und Mama stellen vielleicht einen Bezug zur Geburt her. Hier faellt nur die Zeile 'Gehen so dem Schlaf ins Garn' etwas heraus, denn jemandem ins Garn gehen ist im allgemeinen nichts Gutes (ins Netz gehen / auf eine List hereinfallen / gefangen werden )In der zweiten Strophe zeichnet sich dann ploetzlich eine Bedrohung ab. Das Flugzeug steuert auf das Verderben zu. Der Erlkoenig / Koenig der Winde / Herr im Himmel kommt ins Spiel. Alle drei Hauptpersonen Goethes (Kind, Vater, Erlkoenig) sind vorhanden, verhalten sich aber anders:
a) Der Vater hat eine viel passivere Rolle. Er reagiert zunaechst gar nicht, weder auf die Bedrohung, noch auf die Frage des Kindes. Am Ende ist er es, der dem Kind Schaden zufuegt, und nicht der Koenig der Winde: Seine eigene Angst bringt ihn dazu, die Seele aus dem Kind zu pressen.
b) Es fehlt die sexuelle Verfuehrung (durch die Toechter des Erlkoenigs) und auch die direkte Bedrohung (Bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt). Der Koenig der Winde schuert die Angst der 'Menschenfracht'. Er tut aber eigentlich niemandem etwas. Der Wolkentreiber schuettelt die Menschenfracht wach, befreit sie also aus dem (gefaehrlichen?) Schlaf.
Strophe 6 scheint auf einen Absturz hinzuweisen, die Wortwahl (umarmen / der Druck faellt) signalisiert aber eher das genaue Gegenteil. Ist die Bedrohung also moeglicherweise gar nicht real? Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das Flugzeug am Ende wirklich abstuerzt.
c) Der Chor der Soehne auf dem Wind kommt ebenso wie die Menschenfracht bei Goethe gar nicht vor. Hier haben wir zusaetzliche Akteure. Der Chor hat die Rolle der Verfuehrung, klingt aber ueberhaupt nicht bedrohlich, eher angenehm und freundlich.
Am Ende stimmt die Seele des Kindes in den Chor mit ein (Man beachte den
Doppelpunkt am Ende der vorletzten Zeile -> Das Kind singt den Refrain mit)
Die Menschenfracht repraesentiert eine breite, passive Masse, die dem Verderben entgegen sieht, ohne irgendetwas dagegen zu tun.
d) Der wichtigste Unterschied: Das Kind. Es wird vom Gewitter aufgeweckt und bekommt Angst. Es sucht Hilfe bei seinem Vater, bekommt aber keine. Danach fleht es zum Herrgott, aber auch ohne eine Reaktion. Lediglich der Chor scheint Hilfe anzubieten (Komm her, wir sind gut zu dir -> wir werden dich beschuetzen...)
Und was passiert am Ende? Goethe ist da sehr eindeutig: 'In seinen Armen das Kind war tot.' Hier jedoch wird dem Kind die Seele aus dem Leib gepresst. Doch statt irgendwie in den Himmel zu fahren (was dem Tod entsprechen
wuerde), setzt sie sich auf den Wind und stimmt in den Chor ein.Interpretation
Aehnlich wie bei Goethe ist die Reise mit dem Flugzeug ein Bild fuer den Prozess des Erwachsenwerdens. Nach der friedlichen Kindheit wirken Einfluesse auf das Kind ein, die zunaechst als Bedrohung empfunden werden. Die eigentliche Gefahr geht jedoch von der Furcht selbst aus (Der Vater droht das Kind aus Sorge zu erdruecken und presst ihm dabei die Seele aus dem Leib -> sie entfremden sich).
Das zentrale Thema in diesem Lied ist die Ueberwindung der Furcht. Das Kind setzt sich auf den Wind: Es macht sich den zuvor furchteinfloessenden Wind zu Nutze, es laesst sich nicht mehr von der Furcht leiten (wie die passive Menschenfracht), sondern lernt zu fliegen (wird 'fluegge' = selbstaendig). Es schliesst sich den anderen Fliegern an, den Soehnen auf dem Wind, und stimmt in ihren Chor ein.
Diese Interpretation wird unterstuetzt durch den Titel. Da ist der Bezug zur
buddhistischen Religion, die Nahe legt, dass hier eine Art Verwandlung / Wiedergeburt stattfindet. Im Titel wird Erlkoenig durch Dalai Lama ersetzt -> Statt des boesen Erlkoenigs geht hier das Gute als Sieger hervor.
Die Zeilen 'Weiter, weiter ins Verderben - Wir muessen leben bis wir sterben'
bilden eine Art Refrain, der insgesamt drei Mal auftaucht (interessanterweise nicht am Schluss, dort dominiert der 'Bruederchor'.) Vor allem den zweiten Teil finde ich sehr schoen. Man erfasst dabei zunaechst die Aussage "wir muessen sterben". Bei genauerer Betrachtung ist die Aussage aber eigentlich "wir muessen leben". Sterben werden wir sowieso, aber bis dahin muessen wir was aus unserem Leben machen.
Passivitaet und irrationale Aengste hingegen fuehren (auch angesichts weltweiter Probleme) ins Verderben fuer die ganze Menschenfracht. Dieses Verderben ist jedoch am Ende des Liedes noch nicht eingetreten, laesst sich also durchaus noch abwenden.Weitere moegliche Interpretationsebenen
Jetzt komme ich in den Bereich der Spekulation, die sich nicht mehr unbedingt am Text festmachen laesst.Politik
Moeglich ist vielleicht eine Uebertragung auf eine politische Ebene. Der China-Tibet Konflikt war eigentlich meine urspruengliche Idee. Sie hat mich aber nie richtig zufrieden gestellt, weil sie sich nicht konkret am Text belegen liess. Als zusaetzlicher Aspekt der Interpretation passt es aber so einigermassen:
Die Furcht der chinesischen Regierung vor Oeffnung / Demokratisierung / Spiritualitaet droht den tibetischen Glauben zu erdruecken und zwingt den Dalai Lama ins Exil. Diese Deutung laesst aber einige Fragen offen (z.B. wer dann der Erlkoenig ist).Religion
Wer mag, kann einen religioesen Bezug sehen: Der (bedrohliche) Herr im Himmel (Gott?!) versucht den Menschen vom Fliegen abzuhalten, ihn einzuschuechtern. (Der Mensch gehoert nicht in die Luft). Er verliert jedoch jede Macht ueber das Kind, als dieses das Fliegen lernt.
Dieses Bild ist nicht unbedingt zwingend, denn die Rolle Gottes ist nicht so
ganz eindeutig, immerhin sind die Flieger seine Soehne und es bleibt unklar, ob der Koenig nun gut oder boese ist. Durch die Verwandlung wird auch das Kind ein 'fliegender Bruder' und somit ebenfalls zu einem 'Sohn auf dem Wind'.
Die Zeile 'Wir muessen leben bis wir sterben' hat zwar etwas buddhistisches (wir muessen das Leben hinter uns bringen, um ins Nirvana eintreten zu koennen), aber irgendwie kann ich daraus fuer mich keine Aussage ableiten. Ich denke eher, der Herrgott musste hier nur mal wieder als Ersatzfigur herhalten, dieses mal um das Erlkoenig-Bild aufrecht zu erhalten.'autobiografischer' Bezug
Ein weiterer Unterschied zum Erlkoenig besteht in der Art und Weise, wie das Kind beeinflusst wird. Das Kind sieht zuerst den Erlkoenig, hoert ihn dann und fuehlt ihn schliesslich auch. Unser Kind hier wird fast ausschliesslich akustisch beeinflusst. Die Botschaft, die es schliesslich rettet, wird durch Gesang vermittelt. Das brachte mich auf die Idee, die folgende (vielleicht etwas ueberinterpretierte) Parallele zu ziehen:
Am Anfang fliegt die Menschenfracht schlafend und passiv vor sich hin. Der Herr im Himmel samt seiner Soehne auf dem Wind entspricht der Band Rammstein selbst. Laut, bedrohlich, von vielen als furchteinfloessend empfunden schuetteln sie die Menschenfracht durch, um sie wachzuruetteln, bevor sie ins Verderben stuerzen.
Einige hoeren den Chor (das sind natuerlich die treuen Fans und verstehen die Botschaft. Ihnen gelingt es, sich aus dem Flugzeug zu befreien und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Wie gesagt: Mag etwas zu viel des Guten sein. Gefaellt mir aberKaren
p.s. Ramjet schuldet mir 100 Punkte...